Wegbereiter: Das Werkzeug zur inneren Ruhe

Wandern auf dem Nibelungensteig – das heißt Wandern in schöner Natur, vorbei an beeindruckenden Landschaften, rustikalen Burgen und urigen Altstadtgässchen. Wandern auf dem Nibelungensteig heißt aber auch Wandern auf gut markierten Wegen. Ganz gleich, ob du ein geübter Wanderer bist, oder als Einsteiger das Wandern neu für dich entdeckst. Ganz gleich, ob du dich mit Karte, GPS oder ohne Hilfsmittel orientierst. Der Nibelungensteig verspricht „unverlaufbar“ zu sein. Und damit das so bleibt, kümmern sich die ehrenamtlichen Mitglieder des Odenwaldklub e.V. (kurz „OWK“) um ein rund 5.500 km langes Wegenetz, zu dem auch der Nibelungensteig gehört. Wir haben zwei Nibelungensteig-Markierer bei ihrer Arbeit im Wald begleitet. Wir liefern ein paar Einblicke in dieses besondere Ehrenamt.

Detailaufnahme einer Hand, die ein rotes N auf den weißen Hintergrund der Wegmarkierung malt. Die Markierung befindet sich auf der Rinde eines Baums.

Es ist ein schöner Morgen im Wald bei Güttersbach. Ein lauer Maiwind weht durch die Äste und lässt die jungen, grünen Blätter tanzen. Es ist leicht bewölkt. „Weder zu warm noch zu kalt. Das perfekte Wetter für unsere Arbeit heute“, freut sich Jürgen. Friederike pflichtet ihm bei:„Der Spätfrühling und Frühsommer sind die besten Jahreszeiten zum Markieren. Jetzt sind die Temperaturen ideal. Besser als im Winter, wenn die meisten Baumfällarbeiten stattfinden oder im Frühjahr, wenn das neue Grün kommt und so über frische Markierungen wachsen könnte.“ Ich bin beeindruckt. Schon jetzt merke ich, dass das Markieren von Wanderwegen mehr ist als ein bisschen Gepinsel und Farbe. Es ist eine Wissenschaft, vielleicht sogar eine Kunst.

Unser Weg führt uns von Güttersbach nach Gras-Ellenbach. Hier sind wir im Wegebezirk von Jürgen unterwegs. Er betreut dieses Stück vom Nibelungensteig und ist einer der rund 140 Wegewarte des OWKs. Jürgen ist Förster – nun im Ruhestand – und hat deshalb viel Zeit, wie er selbst sagt. „Früher wäre das nichts für mich gewesen, da war ich zwar auch viel im Wald unterwegs, aber für das Markieren braucht man eine gewisse Ruhe.“ Mittlerweile markiert er seit drei Jahren.

Die Wegewartin bringt die Schablone für eine Nibelungensteig-Markierung an einem Baum an.

Mit von der Partie ist Friederike. Sie markiert seit 1999 und wurde vor Kurzem zur Hauptwegewartin des OWKs ernannt. Ihrem scharfen Auge und geübtem Blick entgeht nichts. Und das trotz ihrer Körpergröße von (nur) 1,58m. „Wenn ich einen Weg übernehme, der vorher von einem großen Wegewart betreut wurde, dann nehme ich mir einen Hocker mit… Manchmal wünsche ich mir dann, dass es eine Maximalgröße für Wegemarkierer gäbe!“, lacht sie. Mit ihr und Jürgen habe ich mich zwei echten Profis in Sachen Wegemarkierung angeschlossen. Und zweien, die ihre Arbeit lieben.

Bereits nach wenigen hundert Metern bleiben wir das erste Mal stehen. Eine Nibelungensteig-Markierung ist alt und abgeblättert. Durch das Zeichen ziehen sich tiefe Furchen entlang der Rinde. „Das kommt von dem Aststumpf über der Markierung. Solange der Baum weiter wächst wird das Zeichen immer wieder aufreißen. Also entfernen wir es hier und bringen es oberhalb des Astes neu an“, erklärt mir Friederike. Jürgen ist schon bei der Arbeit. Erst säubert er die neue Stelle mit seiner Stahlbürste, dann befestigt er die quadratische Schablone und trägt die weiße Farbe auf die Rinde auf. Der strahlend weiße Spiegel leuchtet nun gut sichtbar auf der glatten Rinde.

Collage aus drei Bildern. Sie zeigen die einzelnen Schritte der Anbringung des weißen Hintergrundes der Wegmarkierung.

Ich frage, wo das markante rote „N“ bleibt, das den Nibelungensteig ausweist. Friederike  schenkt mir ein breites Grinsen. „Das kommt dann in der zweiten Runde“, sagt sie.

Während Jürgen das alte Markierungszeichen mit braun-grüner Farbe überpinselt erklärt er mir, dass jede Farbe in einer extra Tour aufgetragen werden muss. „Damit die Farbe genug Zeit hat zu trocknen!“ Da hat jeder Wegewart seine eigene Taktik. Jürgen läuft an zwei verschiedenen Tagen an denen er zunächst den weißen Spiegel und dann das rote „N“ aufträgt. Friederike hingegen trägt meistens auf dem Hinweg den Spiegel auf und nach einer ausgiebigen Mittagsrast begibt sie sich auf den Rückweg für die zweite Schicht. „Oft reicht eine halbe oder ganze Stunde bis die Farbe getrocknet ist aber das ist natürlich abhängig vom Wetter, der Lufttemperatur und der Lage.“ Bevor die Farbe verläuft, nimmt sie lieber eine Extratour in Kauf – so viel Zeit muss sein.

Mittlerweile sind wir schon ein gutes Stück unterwegs und haben kräftig gehobelt, gebürstet, gepinselt und ausgebessert. Zur Grundausstattung eines jeden Wegewarts gehören: Dreikant, Raspel, Stahlbürste, Baumschere und Klappsäge, Farbe, Pinsel, Schablone und Aufkleber. „Nicht zu vergessen: die Küchenrolle! Meine Allzweckwaffe“, scherzt Jürgen. Ihre Utensilien erhalten die Markierer vom OWK und die können sie nur allzu gut gebrauchen. Jeder Wegewart betreut ca. 20-50 Kilometer Weg. Die Länge ist dabei aber kaum ausschlaggebend für den letztendlichen Aufwand. „Wenn ein Abschnitt viele Pfade und Abzweigungen hat, ist das Markieren natürlich aufwendiger als auf geraden, breiten Wegen“, erklärt mir Friederike.

Der Wegewart entfernt eine alte Wegmarkierung mit einer Bürste vom Baum.

An einem schmalen Pfad bleiben die beiden stehen und beraten sich, an welchem Baum die nächste Markierung angebracht werden sollte. Die Rinde und das Wachstumsverhalten sind dabei entscheidend. Mit meinem laienhaften Schulwissen sind das für mich alles spanische Dörfer… Ich frage mich, ob man als Wegewart jede Baumart kennen muss? „Das ist natürlich von Vorteil, aber irgendwann hat man den Dreh schon raus“, beruhigt mich Friederike,„Buchen sind am besten geeignet, bei Fichten ist die Rinde der Knackpunkt“. Die beiden einigen sich schließlich auf einen Baum und bringen das neue Markierungszeichen an.

„Das Schönste am Markieren ist für mich die Ruhe, die man dabei verspürt. Für mich hat es beinahe etwas Meditatives“, sagt Friederike sanft und tatsächlich herrscht eine gewisse Andacht, als Jürgen das filigrane „N“ mit frischer roter Farbe aufträgt. „Man konzentriert sich komplett auf das Malen und blendet alles andere um einen herum aus.“ Aufziehender Wind lässt die Blätter um uns herum rauschen und die Vögel geben ein kleines Konzert. An diesem schmalen Waldpfad entlang des Roten Wassers bei Olfen herrscht die perfekte Idylle. Kein Trubel, kein Lärm – kein Handyempfang.

Detailaufnahme einer Hand, die mit einem feinen Pinsel die Farbe der Wegmarkierung am Baum anbringt.

Wir suchen uns ein schönes Plätzchen und legen eine Mittagsrast ein. Jürgen hat frisches Brot, Käse und auch Schokolade dabei. Wir freuen uns über die hervorragende Verköstigung und ich bin gespannt, welche Einblicke mich noch erwarten.

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Text: Loreen Last, Juli 2017

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